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    Behinderteneigenschaft bei Schlafapnoe nach dem Sozialrecht

     

    Schlafapnoe-Syndrom: (Schwer-)Behinderteneigenschaft bringt Nachteilsausgleiche!

     

    Viele Menschen zögern, sich bei einer chronischen Erkrankung Gedanken darüber zu machen, ob ihnen möglicherweise Nachteilsausgleiche für die Beeinträchtigungen zustehen könnten – weil kaum jemand von uns gerne zugeben möchte, „behindert“ zu sein. Zweifelsohne ist die Annahme eines Leidens eine persönliche Angelegenheit, die jeder von uns auf die eigene Art und Weise bewältigen muss. Gleichsam sollte uns aber nicht egal sein, dass wir beispielsweise auch mit einer Schlafapnoe-Erkrankung Anspruch auf eine mögliche Zuerkennung als (Schwer-)Behinderter haben.

    Was sich zunächst dramatisch anhören mag, bedeutet letztlich nur, eine amtlich festgestellte Funktionseinschränkung zu haben, aufgrund derer der Betroffene Anspruch besitzt, bestimmte Leistungen und Entlastungen zu erhalten, die seine Einschränkungen und mögliche Aufwendungen ausgleichen sollen. Letztlich muss abseits des Versorgungsamtes, bei dem ein entsprechender Antrag zu stellen ist, niemand von einer (Schwer-)Behinderung erfahren, lediglich vielleicht das Finanzamt und andere Stellen, die dann über Ausgleichsleistungen entscheiden. Vor allem aber erhält beispielsweise der Arbeitgeber in der Regel keine Kenntnis davon, wenn man dies nicht möchte – ebenfalls die Krankenkasse bleibt außen vor. Insofern besteht offensichtlich kein Grund dafür, aus der Befürchtung von Nachteilen oder durch Scham auf die Beantragung einer (Schwer-) Behinderteneigenschaft aus diesen Motiven heraus zu verzichten.

    Die Feststellung möglicher Nachteilsausgleiche erfolgt zunächst durch die Zuerkennung einer Behinderung, die im Gesetz wie folgt definiert ist: „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist. “ (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Ob man nun eine Behinderung im Sinne des Gesetzes hat, wird vom Versorgungsamt anhand der vorliegenden Funktionseinschränkungen festgestellt. Hierbei geht es also weniger um Diagnosen und Krankheiten, sondern wie diese sich auf den Alltag des Betroffenen auswirken.

    Der sogenannte „Grad der Behinderung“ (GdB) stellt in Zehnerschritten zwischen 0 und 100 das Ausmaß der Behinderung fest. Ab einem GdB von 20 gilt man im Sinne des Sozialrechts als „behindert“, ab einem GdB von 50 als „schwerbehindert“, wobei auch Menschen ab GdB von 30 eine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten beantragen können – gerade, wenn sie Nachteilsausgleiche am Arbeitsplatz in Anspruch nehmen wollen und hierfür einen Nachweis benötigen.

    Menschen mit Schlafapnoe werden abhängig des Ausmaßes ihrer Symptomatik mit einem GdB von 0 – 20 eingestuft, wobei ein GdB von 0 anzunehmen ist, wenn die Schlafapnoe keiner Therapie bedarf und zu keiner Funktionsbeeinträchtigung führt. Ein GdB von 10 ist statthaft, wenn es zu geringgradigen Funktionseinschränkungen kommt, aber keine Therapie notwendig ist. Ein GdB von 20 ist dann angezeigt, wenn eine Therapie notwendig ist und in Anspruch genommen wird. Wer eine Therapie aus persönlichen Gründen ablehnt, erhält zumeist keinen höheren GdB als 10. Er kann sich über 20 erhöhen, wenn beispielsweise eine Atemmaskentherapie aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage kommt und unter anderem aufgrund von bestimmten neurologischen, HNO oder internistischen Vorerkrankungen kontraindiziert ist. Dann kann ein GdB bis 50 möglich sein.

    Zu alternativen Therapieformen der Schlafapnoe, wie etwa dem Zungenschrittmacher oder der Unterkieferprotrusionsschiene, gibt es noch keine abschließende Beurteilung und es fehlen hierzu bislang Gerichtsurteile. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass – äquivalent zu anderen Erkrankungen – ein höherer GdB wirklich nur dann in Aussicht gestellt werden kann, wenn keine Therapieform in Betracht kommt. Er kann auch über 20 liegen, wenn zum Schlafapnoe-Syndrom entsprechende Folgeerkrankungen und Begleitsymptome hinzukommen. Hierbei ist vor allem an eine besondere Dimension der Tagesmüdigkeit, psychische Komplikationen und ausgeprägte Schlafstörungen, Herzrhythmuserkrankungen, Lungenfunktionsstörungen oder Bluthochdruck zu denken. Natürlich kann der GdB auch wesentlich ansteigen, wenn zur Schlafapnoe noch vollständig eigene Erkrankungsbilder dazustoßen, die mit dem Syndrom an sich überhaupt nicht in Verbindung stehen und deshalb separat bewertet und in die Beurteilung einfließen müssen.

    Schlussendlich wird der sogenannte „Gesamt-GdB“ anhand der „Einzel-GdB“ jeder Funktionsstörung gebildet, wobei letztere hierfür nicht addiert werden dürfen. Auf Basis von entsprechenden Arztberichten befindet das Versorgungsamt über den GdB und stellt ab einem Wert von 20 einen entsprechenden Bescheid aus, der die Behinderteneigenschaft nachweist. Ab 50 wird die Schwerbehinderteneigenschaft attestiert und auf Wunsch ein sogenannter Schwerbehindertenausweis ausgehändigt. In beiden Fällen dienen diese Feststellungen als Grundlage, Nachteilsausgleiche in Anspruch zu nehmen.

    So kann bei einem GdB von 20 aktuell ein steuerlicher Pauschbetrag von jährlich 384 EUR von der Einkommenssteuer abgesetzt werden. Ab GdB 30 kann die Gleichstellung zum „Schwerbehinderten“ erfolgen, was einen deutlich verbesserten Kündigungsschutz am Arbeitsplatz mit sich bringt, daneben steigt der oben genannte Pauschbetrag auf 620 EUR. Bei GdB 40 beträgt er dann 860 EUR. Wird man als Schwerbehinderter mit GdB 50 anerkannt, hat man im Job Anspruch auf eine bevorzugte Einstellung und Beschäftigung, einen stark erhöhten Kündigungsschutz, Begleitung am Arbeitsplatz, eine Woche Zusatzurlaub, Befreiung von Mehrarbeit, erhält Ermäßigungen bei manchen Telefon- und Mobilfunkanbietern, Automobilclubs sowie bei der Kurtaxe und in Freizeiteinrichtungen, kann zwei Jahre früher Altersrente beanspruchen (sogar fünf Jahre, wenn Abschläge akzeptiert werden) und bekommt einen steuerlichen Pauschbetrag von 1140 EUR jährlich. Bei höheren GdB gibt es ansteigende Ansprüche, die vor allem die soziale Wohnraumförderung, abziehbare Fahrtkostenpauschalen, Entfernungspauschalen, Freibeträge zum Wohngeld und ansteigende Pauschbeträge bei der Steuer umfassen.

    Insofern lohnt es sich, auch bei einem Schlafapnoe-Syndrom die Frage für sich zu diskutieren, ob die Vorteile einer Antragsstellung auf (Schwer-)Behinderteneigenschaft die möglichen Sorgen und Ängste nicht deutlich überwiegen. Es gibt keine guten Argumente, weshalb man darauf verzichten sollte. Letztlich kann man nichts mehr verlieren, aber doch deutlich an Belastungen reduziert werden. Den gesetzlichen Anspruch darauf sollte man unbedenklich nutzen, denn es ist gerecht und zu rechtfertigen, dass Menschen mit einer ungewollten Erkrankung für ihre Zusatzaufwände im Alltag einen Ausgleich erhalten. Antragsformulare sind in der Stadtverwaltung oder beim Landratsamt erhältlich und können beim dortigen Versorgungsamt eingereicht werden.

    Entsprechende Unterstützung bei der Antragsstellung leistet der Autor dieses Artikels gern.

    Hinweis: Der Autor dieses Artikels ist selbst an einem Schlafapnoe-Syndrom erkrankt.

    Autor: Dennis Riehle | Psychosozialer Berater | Sozialrecht (zertifiziert) | Grundlagenmedizin (zertifiziert)
    Ehrenamtliche Beratung (keine Rechtsdienstleistung) über Mail: Beratung(ät)Riehle-Dennis.de
     

    (veröffentlicht am 18.12.2021)

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